Kaffee & Nachhaltigkeit
Kaffee ist einer der am meisten gehandelten Rohstoffe unseres Planeten und schafft die Lebensgrundlage
für über 250 Millionen Menschen, die sich über alle Kontinente, Länder und Religionen
verteilen. Kaffee ist der Treibstoff unserer modernen Industrie, der mit der Industrialisierung seinen
Durchbruch erreichte. Er ist das Elixier der Dichter und Denker, das Getränk der Revolutionäre
und Innovatoren. Er ist Begleiter gepflegter Kommunikation und häufig Katalysator bei Problemlösungen.
Er ist seit Jahrhunderten ein weltweit verbindendes und ebenso hart umkämpftes Gut, das zugleich
viel Leid, Glück, Armut und Reichtum verursacht hat. Im Jahre 2020 wurden ca. 170 Millionen
Sack Rohkaffee (zu 60kg) weltweit produziert, davon entfielen 96 Millionen (56%) auf Arabica
und 74 Millionen (43%) auf Canephora. Die Liberica-Produktion liegt immer noch bei fast nicht
wahrnehmbaren 1% der Weltproduktion und beschränkt sich maßgeblich auf Malaysia, Indonesien
und die Philippinen.
20% der weltweiten Kaffeeproduktion stammen von größeren Farmen, 80% der Produktion von
kleinen und kleinsten Erzeugern, die teilweise nur in einer Subsidiarwirtschaft ihren Lebensunterhalt
verdienen und zugleich auf größeren Farmen aushelfen. Häufig besteht bei den Produzenten
nur wenig Wissen über Kaffee, seinen Anbau, Arten, Varietäten und die Verarbeitung, ganz zu
schweigen von einer Vorstellung des finalen Getränks und dessen geschmacklichen Eigenschaften.
Auch das Wissen um Kaffeearten und -varietäten ist global von Fehlinformationen geprägt. So
sprechen sogar im Kaffeemarkt beschäftigte Personen von „Arabica“ und „Robusta“ - was wiederum
falsch ist. Wein läßt sich in Rotwein und Weißwein einteilen und eben nicht in Rotwein und
Riesling. Die Bezeichnung „Robusta“ beim Kaffee bezeichnet botanisch keine Art, sondern eine
Varietät (also eine Untergliederung der Art). Richtig heißen die beiden Kaffeearten „Arabica“ und
„Canephora“ - und es sollte noch ergänzt werden, daß die Art noch keine Qualitätsaussage ist.
Auch ein „100% Rotwein“ ist nicht immer gut. Kaffee ist im Übrigen botanisch weit komplexer als
Wein aufgebaut - es bestehen hier 250 Arten und über 10.000 Varietäten - über die wir auch in unserem
KaffeeTaxonomie-Workshop näher informieren oder viele im Webshop unseres Schwesterunternehmens
„The Coffee Store“ anbieten.
Die letzen Jahre brachten viele Veränderungen für die Kaffeeproduzenten - die meisten davon zu
deren massivem Nachteil. Preise für Dünger, Pflanzenschutzmittel, Energie und nicht zuletzt für
Personal stiegen massiv.
Während die Produktionskosten stiegen, sanken die Verkaufspreise des Kaffees und stiegen die
Zinsen für landwirtschaftliche Darlehen. Sinnbildlich wird dies an den Gebäuden und Infrastrukturen
von Kaffeefarmen, deren Erhaltung heute allein durch die Arbeiten auf den Farmen schon fast
nicht mehr möglich ist - von einem Aufbau ganz zu schweigen. In vielen Erzählungen alter Kaffeefarmer
läßt sich der Preisverfall des Kaffees gut ablesen. Ein Farmer erzählte, wie er als kleiner
Junge mit seinem Großvater mit einem voll mit Kaffee beladenem Lastwagen in die Stadt fuhr und
man vom Verkaufserlös des Kaffees einen neuen Lastwagen kaufen konnte - als ihm selbst die
Farm gehörte, konnte er sich für den Erlös eines Lastwagens voll Kaffee noch zwei Jeanshosen
kaufen.
Auch bei uns in den Konsumländern, läßt sich der Preisverfall des Kaffees dramatisch erkennen.
Am besten ist dies durch einen Vergleich der Arbeitszeit eines durchschnittlich bezahlten Arbeiters
für den Erwerb von 500g Bohnenkaffee abzulesen.
Derzeit ist Kaffee so billig wie niemals zuvor. Noch im Jahre 1950 war Kaffee für die meisten Menschen
unerschwinglich. Mit knapp 15,-€ war ein Pfund Bohnenkaffee damals dreimal so teuer wie. heute. Dafür musste ein durchschnittlicher Arbeitnehmer aber noch 26 Stunden arbeiten gehen –
heute reichen dafür laut Berechnungen des IW (Institutes der Deutschen Wirtschaft) bereits ganze
19 Arbeitsminuten. Etwas geringer fällt dagegen die Arbeitszeiteinsparung bei Bier aus. Für einen
halben Liter (Preis damals 32 Cent) waren früher noch 15 Minuten Arbeit nötig – heute sind es nur
noch drei Minuten. Kaffee besitzt heute nur noch knapp 1% des Wertes, den er 1950 besaß. Kein
Wunder also, daß es nicht nur den Farmern schlecht geht - auch die Bohnenqualität hat sich dramatisch
verschlechtert. Denn irgendwo müssen die Einsparungen herkommen - und auch in den
Entwicklungsländern sind Preise für Energie, Arbeit, Dünger etc. gestiegen. Viele Kaffeebauern
haben daher bereits seit vielen Jahren die Produktion eingestellt und entweder das Land verlassen
oder sind auf andere Produkte umgeschwenkt.
Arbeitszeit früher und heute für ausgewählte Produkte.
Die Kaffeeproduktion wird zusätzlich durch den Klimawandel bedroht. Nach neuesten Schätzungen
werden bis im Jahre 2080 rund 70% der weltweiten Anbauflächen für Kaffee ungeeignet sein.
Rund 25 Mio. Menschen verlieren damit ihre Einkommensquelle, und in den Lateinamerikanischen
Ländern könnten sich Flüchtlingsströme in die USA von ungeahnter Größe bilden. Welche Perspektiven
bieten die Preise und Anbausituationen für die Kaffeepflücker in diesen Ländern?
Die Kaffeeschädlinge profitieren demgegenüber vom Klimawandel. Der Kaffeerost (Hemileia vastatrix)
(ein Pilz, der die Blätter befällt und zum Absterben bringt) verursachte nach Schätzungen der
ICO (International Coffee Organisation) bereits im Jahr 2015 einen weltweiten Schaden von rund
550 Mio. US$ und breitet sich weiter auch vermehrt in früher befallsfreien Höhenlagen aus. Der
Broca-Käfer (Hypothenemus hampei), der sich mehr in den Ostafrikanischen Ländern verbreitet,
hat dort nach Schätzungen der FAO (Food and Agricultural Organisation der United Nations) einen Schaden von rund 500 Mio. US$ verursacht. Eine neue Unterart verursacht beim Befall einen Geschmack
von faulen Kartoffeln, der ganze Ernteerträge unverkäuflich macht.
Die Kombination aus ökonomischen (schlechten Verkaufspreisen für Rohkaffee, steigenden Kosten
für den Kaffeeanbau) und ökologischen (fehlender Regen oder zu starke Niederschläge) Faktoren
führen zu einem dramatischen Rückgang der Produktion von Kaffee.
Indien kann hierfür als ikonisches Beispiel gelten. Seit 2015 bestehen massive Fehlernten von
teilweise bis zu 50% des durchschnittlichen Ertrages. Große Trockenheit wird von massiven Regenereignissen
abgelöst, die die fruchtbaren Oberflächenschichten der Böden erodieren, Gebäude
und Strassen zu einstürzen bringen und nach kurzer Zeit wieder einer massiven Trockenheit weichen.
Die Kaffeepflanzen können zunächst durch die Ernteausfälle ihre Schwächungen kompensieren,
sterben nach zwei bis drei Jahren wiederholter Situation aber ab.
Zeitgleich steigt der weltweite Kaffeekonsum, insbesondere in Schwellenländern wie Brasilien, Indien
und Mexiko.
Kaffee wird also wieder ein Luxusprodukt werden - und das ist gut so. Denn weniger nachhaltig könnte es in der Kaffeebranche nicht mehr zugehen. Hierin zeigt sich auch die geradezu heuchlerische Verschleierungs- und Beruhigungsfunktion der zahlreichen Zertifikate, die solche Situationen als „fair“ zertifizieren und damit zum moralischen Feigenblatt der Profiteure im Markt und Vehikel für den mit ihrer Hilfe für dumm verkauften Verbraucher werden. Der Verbraucher hat nur die Chance, sich bei seinem Verkäufer oder Röster über den Handelsweg und die hoffentlich bestehenden persönlichen Verhältnisse zu den Erzeugern zu informieren und sich nicht allein durch Zertifikate oder einzelne Zahlen wie FOB-Preise (die völlig aussagenlos für den Preis des Farmers
sind) abspeisen und blenden zu lassen.
Wir werden zukünftig nur noch Kaffee trinken können, wenn es sich für die Produzenten lohnt, Kaffee
anzubauen und damit ein nachhaltiges Einkommen gesichert ist. Ebenso müssen Perspektiven
für die Kaffeepflücker und deren Kinder bestehen, sich aus- und fortbilden zu können, um eine
bessere berufliche Perspektive zu haben.
Es muß sich für die Farmen lohnen, real in Einklang mit der Natur zu leben und zu arbeiten - hierfür
muß Aufklärung über die Zusammenhänge von Mikroklimata, Insolation, Hydrologie, Bodenkunde
(Mikrobiome), Allelopathie (Schattenpflanzen, Bodendecker, …), sowie den korrekten Anbau
und die Verarbeitung von Kaffee betrieben werden.
Die Kaffeefarmen müssen resilienter gegenüber den Klimaereignissen werden, es müssen mehr
Schattenbäume gepflanzt werden, die zunächst den Ernteertrag verringern, dafür aber stabilisieren
und die Qualität und den Geschmack des Kaffees verbessern. Über gezielte Anlagen von Bodendeckern
können mehr Wasservorräte gespeichert und Böden gegen Abtragungen durch Regen
gesichert werden.
Durch den Anbau besser an die lokalen Verhältnisse angepaßter Kaffeevarietäten und weiterentwickelte
Fermentationsstile können die Farmen bessere Einnahmen durch höhere Kaffeequalitäten
und einzigartigere Geschmacksprofile erzielen. Beim Ausbruch einer globalen Kaffeeerkankung
wäre die Branche durch eine breiter angelegte Genetik ebenfalls besser geschützt.
Die Nutzung von Kaffeenebenprodukten wie Kaffeekirschen, Kaffeeblatt oder Kaffeeholz könnten
es den Kaffeefarmern ermöglichen, zusätzliche Einnahmen zu generieren - Voraussetzung dafür
ist ein Zugang zu den Märkten, was derzeit durch Regulierungen wie die Novel Food Verordnung
massiv erschwert wird. Hier wäre es sinnvoll, wenn sich ein Konsortium von Kaffeeunternehmen
gemeinsam für die Nutzung und gesetzliche Wegbereitung des Konsums dieser Produkte - auch
zugunsten der Farmer - bilden und einsetzen würde.
Im ersten Schritt können Verbraucher versuchen, Kaffee nicht nach Zertifikaten zu kaufen, sondern
nach langjährig bestehenden direkten Kontakten zu Kaffeefarmern und einzigartigen Geschmacksprofilen. Es gilt: Ein unter guten Bedingungen erzeugter Kaffee schmeckt auch gut! Zertifikate
helfen nur dem, der sie ausstellt. Ein bißchen mehr Ehrlichkeit und kritische Auseinandersetzung
mit Werbeaussagen ist unumgänglich und der wesentlichste schritt für Verbraucher, um
den Kaffeefarmern zu helfen.